Der Jäger und sein Opfer – Teil 3

Episode 5 – Samstag

Ein unwirklicher Lichtschein tanzte in wilden Sprüngen über das zerknitterte Bettlaken vor meinen nur einen Spalt breit geöffneten Augen. Jeder einzelne Muskel meines Körpers war vollkommen entspannt. Die vom Bettzeug reflektierte Körperwärme tat ihr übriges und hüllte meine Haut in ein angenehmes Hitzepolster, das mit einem heißen Bad vergleichbar war. Der tiefe Schlaf der vergangenen Nacht war erholsam und erfrischend wie es lange zuvor keiner mehr war.

Dabei war mein Verstand hellwach und es kostete mich keine Mühe das Lichtspiel vor mir als Sonnenstrahl zu identifizieren, der durch einen kleinen Spalt der geschlossenen Vorhänge auf die Scheibe des weit geöffneten Fensterflügels traf und von dort direkt vor mein Gesicht geworfen wurde. Ein leichter Windzug sorgte nicht nur für eine angenehm frische und kühle Raumluft, sondern ließ auch die Vorhänge hin und her flattern und so den einfallenden Sonnenstrahl in immer neue Winkel brechen.

Geistig vollkommen aufmerksam mochte mich dennoch nicht einen Millimeter bewegen. Die behütende Wärme des Bettes und der Zustand der völligen Gelöstheit waren einfach zu angenehm. Für ein paar endlose Minuten wünschte ich mir so die Ewigkeit zu erleben, das Hinwegschweben von allen Lasten des irdischen Daseins.

Doch irgendwann pumpte eine unbekannte Quelle Lebensgeist und Lebenslust wieder zurück in meine Blutbahnen. Das intensive Bedürfnis meine Muskeln zu bewegen vertrieb die Entspannung und mein Herzschlag wechselte zurück in den Takt des Lebens. Der Übergang in die Wirklichkeit schärfte auch meine Sinne.

Ich spürte, dass Valentin nicht mehr neben mir lag. Andernfalls hätte ich in der angenehmen Stille des Morgens seinen Atem vernehmen müssen. Aber ein leichtes Prickeln sagte mir, dass ich dennoch nicht allein im Zimmer war. Ich drehte meinen Kopf etwas, bis ich den einzelnen Sessel sehen konnte, der in der Zimmerecke neben dem linken Fußende meines Bettes stand.

Aus der Ahnung wurde Gewissheit, als ich dort im Halbdunkel Valentin sitzen sah. Von meinem Blickwinkel aus konnte ich seinen Oberkörper nicht erkennen, da das weit offen stehende Fenster diesen verdeckte. Er verharrte dort offensichtlich vollkommen nackt, die Beine leicht geöffnet und gewährte mir so einen exklusiven und völlig schamlosen Blick auf sein Geschlecht.

Ob er schlief oder wach war konnte ich nicht ausmachen. In einer seltsamen Mischung aus Abneigung, Scham und doch heimlicher Faszination fokussierten sich meine Augen auf Valentins Männlichkeit. Sein nunmehr schlaffer Penis hing etwas nach rechts über den Hodensack. Selbst in diesem Zustand der Entspannung konnte ich mühelos erkennen, dass sein Glied eine beeindruckende Größe aufwies. Lustvolle Erinnerungsfetzen zogen an mir vorüber, wie dieses jetzt so harmlos scheinenden Organ angeschwollen, zu einem Werkzeug der Erfüllung aufgerichtet und von einer gierigen Leidenschaft getrieben, in mich eingedrungen war. Die wohligen Gedanken daran, wie er mich ausgefüllt hatte, wie ich ihn beinahe willenlos in mich aufgenommen und Zugang in meinen Körper gewährt hatte, wirkten aufs Neue stimulierend.

Wieder brachte ein Luftzug das Fenster in leichte Bewegung. Es bewegte sich ein paar Zentimeter weiter auf, bis die Scharniere anschlugen. Der Holzrahmen ächzte kaum hörbar und federte dann zurück. Dermaßen in die Gegenrichtung gezwungen gab das Fenster für vielleicht zwei Sekunden die linke Hälfte von Valentins Körper und dessen Gesicht frei. Dann pendelte es zurück in seine ursprüngliche Ausgangslage und verdeckte wie zuvor Valentin vom Brustkorb an aufwärts.

Der kurze Moment hatte mir genügt, um zu erkennen, dass Valentin mit offenen Augen im Sessel saß und von dort zu mir herüber sah. Für diesen Moment hatte ich auch beinahe seinen ganzen Körper in seiner absoluten Nacktheit sehen können. Man konnte Valentin sein fortgeschrittenes Alter ansehen. Mit der Athletik und dem fein modulierten Muskelspiel des Körpers eines schlanken jungen Mannes konnte er nicht mithalten. Auch hatte seine Haut nicht mehr die Frische und Straffheit der Jugend. Überhaupt konnte Valentin Schönheit im ästhetischen Sinne nicht für sich reklamieren.

Und trotzdem bot er sich, ohne einen Hauch von Unsicherheit zu zeigen, so meinen Blicken. Er strahlte dabei ein reifes Selbstbewusstsein aus, das schwer zu fassen und noch weniger zu beschreiben war. Wie er so schweigend und regungslos da saß, schien er derartige Vergleiche und Überlegungen gezielt zu provozieren.

Ich begann zu begreifen, dass dieser Morgen ein Arrangement Valentins war. Wie er, der Vater meiner Freundin, nackt an einem Samstag völlig ruhig in einem Sessel hier in meinem Schlafzimmer saß, dabei meinen schlafenden Körper beobachtete, mein Aufwachen begleitete und mit seiner Präsenz den kompromisslos harten Geschlechtsverkehr des vorherigen Abends wie mit feiner Feder unterstrich, das war eine gewollte Komposition.

Er reduzierte mit seiner schamlosen Nacktheit, gepaart mit vollkommener und fast schon arroganter Stille die Dinge auf den einen entscheidenden Punkt, und zwar dass wir es miteinander getrieben hatten. Seine Anwesenheit war ein lebendes Ausrufezeichen, ein Urteil. Es war geschehen und wir haben es geschehen lassen. Doch anstatt bei mir Bestürzung auszulösen expandierte er stattdessen meine bislang gewohnte Welt, die selben Fakten nutzend und sie nur anders betonend. Ja, wir haben es miteinander getrieben. Ja, wir haben es geschehen lassen. Ja, für einen Moment haben wir anerzogene Konventionen hinter uns gelassen.

Und er lauerte. Mit immer neuer Schärfe enthüllten meine Gedanken genau das, was Valentins mit seiner geradezu kunstvollen Selbstbeherrschung vorgezeichnet hatte. Er lauerte auf meine Interpretation des Morgens. Ich glaube ein Zurück wäre jetzt noch möglich gewesen. Wenn ich jetzt einen resoluten Strich durch sein sorgsam arrangiertes Szenario gezogen hätte, so wäre er wohl aus meinem Leben wieder spurlos verschwunden, allenfalls eine leichte Narbe zurück lassend, wie so oft, wenn junge und leidenschaftliche Liebe zerbricht.

Überdeutlich schälten sich die Optionen aus der reinen Morgenluft. Ich schaute nachdenklich hinüber zu dem schmalen Spalt zwischen den Vorhängen. Dahinter konnte ich den blauen Morgenhimmel erkennen. Aber fern war er, so fern wie meine unbedeutende Vergangenheit jetzt schon hinter mir lag. Ich seufzte.

Valentin musste mich gehört haben. Doch er verharrte weiter regungslos, ohne die Spur einer erkennbaren Reaktion. Ich empfand die andauernde Stille als unangenehm und würde sie wohl selbst durchbrechen müssen. Valentin hingegen schien seine Selbstbeherrschung geradezu zu zelebrieren. Es kostete mich etwas Überwindung, Valentin anzusprechen. Dabei kämpfte ich meine natürliche Schüchternheit nieder. „Möchtest du zu mir ins Bett kommen?“ fragte ich ihn leise.

Es dauerte eine unangenehm lange Zeitspanne, bis Valentin reagierte. Statt einer Antwort erhob er sich und stellte sich an das Fußende des Bettes.

Ich folgte ihm mit meinem Blicken, jetzt sehr verunsichert, weil er noch immer kein Wort sagte. Er stand jetzt in voller Herrlichkeit vor dem Bett und musterte mich mit seinen so beeindruckenden Augen. Seine schamlos zur Schau getragene Nacktheit erregte mich. Ich spürte, wie meine Brustwarzen sich verhärteten und sich ein erwartungsvolles Ziehen in meinem Bauch bemerkbar machte.

„Stehen sie auf.“ verlangte Valentin mit merkwürdig spröder Stimme.

Ich spürte mehr als ich es sah, dass mit Valentin eine seltsame Verwandlung geschehen war. Seine so eindrucksvoll zur Schau gestellte Liebenswürdigkeit und seine intelligente Nonchalance waren aus mir unbekanntem Grund durch ein anderes, fast schon beängstigendes Verhalten abgelöst. Er schien mich mental zu sezieren, emotional auf Distanz zu halten. Ein klein wenig fühlte ich mich wie eine minderwertige Kreatur.

Doch dieses Gefühl verflog schnell, als ich Valentins Wunsch folgend aufstand. Da er ebenso splitternackt wie ich war, empfand auch ich keine Scham. Ich war mir meiner Weiblichkeit sehr bewusst und die Tatsache, dass ich so sehr die Leidenschaft dieses Mannes angeregt hatte, stärkte mein Selbstbewusstsein. Aufrecht neben dem Bett stehend, mich seinem Blick stolz aussetzend, sah ich Valentin an.

Die Präsentation meines Körpers verfehlte nicht ihre Wirkung. Valentins eben noch schlaffes Glied erwachte zum Leben. Wie ferngesteuert richtete es sich auf und stand wie eine Lanze von seinem Körper ab. So wie er seinen Blick auf meine Brüste heftete, konnte ich mich nicht von seinem erregten Penis abwenden. Schauder durchzogen mich bei dem Gedanken, zu welchen Dingen der Mann mit diesem Glied fähig war.

Wir musterten uns gegenseitig schweigend, standen uns gegenüber wie Gladiatoren vor dem Kampf. In einem nur Augenblicke aufkochenden Sinnesrausch wünschte ich mir, er möge sich auf mich stürzen. Ich wollte seine rauen Hände auf meiner Haut spüren, mit Gewalt nieder gerungen werden. Ein frischer Luftzug, der kühl über meine Arme strich, verriet mir, dass mich ein feiner Schweißfilm bedeckte. Das leichte Frösteln vertrieb die eindringliche Gewaltphantasie wieder etwas.

Abgesehen von dem verräterisch erigierten Glied blieb Valentin auch jetzt völlig beherrscht, zeigte nicht einen Moment eine Regung. Es kostete mich beinahe übermenschliche Kräfte ebenfalls die Ruhe zu bewahren. Und ich hielt diesem Blick stand. Ich hatte mich unter Kontrolle und das gab mir Sicherheit. Ich beugte mich nicht Valentins Blick.

„Stellen sie sich hier neben mich.“ verlangte Valentin kühl.

„Heute gibt es keine Exkursionen zu den griechischen Philosophen?“ fragte ich ruhig, von Vorahnungen getrieben.

Über Valentins Gesicht, das seit Minuten jede Emotion verborgen hatte, huschte ein kurzes Lächeln. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Keine Philosophen heute.“

Ich nickte verstehend und trat dann neben Valentin. Unsere Augenpaare waren vielleicht einen halben Meter voneinander entfernt. Ich spürte sogar seinen regelmäßigen Atem auf meiner Gesichtshaut, als wir uns für Sekunden schweigend musterten, jeder in der Tiefe der Pupillen des anderen forschte.

Ich habe keine Vorstellung, was Valentin in meinen Augen lesen konnte. Aber ich lernte sehr viel aus den seinen. Die Neugier der letzten Tage war aus dem Blick meines Gegenübers verschwunden. Diese Augen sahen in mir nicht mehr die Schülerin, das junge Mädchen. Dort spiegelte sich jetzt das Bild einer Frau. Ich sah jetzt Verlangen dort, wenn nicht sogar Begierde. Allerdings war dieses sehr kühl untermalt. Es waren keine mitreißenden oder gar anregende Emotionen. Nein, es war eine eher Angst machende Form der Lust.

Valentin sprach mit ruhiger Stimme weiter, jedes Wort wohl akzentuierend. „Das Thema heute wird dennoch sehr lehrreich sein. Auch wenn die ganz großen Wissenden und ihre weisen Lehrsätze nicht zum Zuge kommen.“ Er deute mit der Hand auf das Bett. „Ich möchte sie bitten sich vorn über gebeugt auf das Bett zu stützen. Zudem bitte ich sie ihre Beine dabei etwas zu spreizen.“

Ich starrte ihn irritiert an. Ich hatte viel erwartet, aber nicht eine solch nüchtern vorgetragene Aufforderung. Wollte er mich von hinten nehmen? Ohne jedes Vorspiel? Einfach so? Ich zögerte.

Valentin blieb geduldig. Er drängte mich nicht, was meine Unsicherheit nur verstärkte. Nichts passte hier zusammen. Er deute nochmals mit seiner Hand auf das Bett und erinnerte mich so schweigend an seinen Wunsch.

Er verlangte eine ihn meinen Augen sehr erniedrigende Stellung. Einem ersten Impuls folgend wollte ich heftig widersprechen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass meine Gesichtsfarbe sich leicht änderte und Valentin quasi auf meiner Haut lesen konnte, was ich gerade dachte. Für Sekunden rebellierte alles in mir und mein inneres Pendel schlug heftig aus.

Valentin musterte mich wieder still und in sein Blick lag wieder das bereits zuvor wahrgenommene Lauern. Ich musste mir mit Macht seine Worte von gestern in Erinnerung rufen. Genau solche Momente wie jetzt hatte er angedeutet und mir wurde plötzlich klar, dass er mich prüfte. Wollte er herausfinden, ob ich davonlaufen würde? Ich war mir jetzt sicher, dass in diesen Augenblicken der schweigenden Nähe unsere beiden Persönlichkeiten einen stillen Kampf mit unsichtbaren Waffen fochten. Der Kampf brachte keinen Gefechtslärm mit sich, noch konnte man das Klirren von aufeinander treffendem Stahl vernehmen. Trotzdem war es ein überaus harter Kampf, unerbittlich und mit animalischen Instinkten ausgetragen.

Würde es ein Zeichen von Stärke oder von Schwäche sein, wenn ich nachgab? Wollte ich eigentlich stark oder doch lieber schwach sein? Ich schob mein Kinn etwas nach oben und straffte beinahe unbewusst meinen Körper. Eine plötzliche Erkenntnis rollte über mich wie eine Feuerwalze. Ich wollte nicht länger stark und spröde sein, nicht für Valentin. Zu sehr füllte ich mich bereits zu ihm hingezogen. Die Entscheidung war gefallen und seltsamer Weise fühlte ich mich plötzlich sehr erleichtert.

Ich beugte mich vorn über, bis meine Hände das Bettlaken berührten. Dann spreizte ich meine Beine leicht. In dieser unterwürfigen Haltung bot ich Valentin meinen Körper an. Ich starrte auf die zerknüllte Bettdecke vor mir und war mir sehr bewusst, wie ich diesem Mann meinen Hintern präsentierte und meine Brüste, frei für seinen Zugriff, leicht unter mir hin und her schwenkten. Mit einer Mischung aus erregter Erwartung und ein klein wenig Furcht sah ich dem Kommenden entgegen.

„Ich muss zugeben, der Sex mit ihnen in der vergangenen Nacht war außerordentlich befriedigend für mich.“ Bedächtig und mit Ruhe seine Worte wählend trat Valentin direkt hinter mich. „Sie wissen natürlich, dass das allein zu profan wäre. Der Sex war notwendig, weil er mein Verlangen und wohl auch das ihre stillte.“ Er legte beide Hände auf meinen ihm so freizügig entgegen gestreckten Hintern. Gefühlvoll, aber ohne jede Scham fuhr er über die weiche Haut und erkundete besitzergreifend jeden Zentimeter dort. „Das Streben nach mehr, dem Verborgenen, ja dem Außergewöhnlichen hat uns zueinander geführt. Das erstaunliche daran ist, dass jemand, der so jung ist wie sie, solch starke Signale auszusenden vermag.“ Mit den Fingern fuhr er sanft, jedoch überaus erregend für mich, die Spalte Spalte an meinem Hintern nach. „Für gewöhnlich kann man das nur von einer reifen und sehr erfahrenen Frau erwarten.“

Der Druck von Valentins Händen auf meinem Hintern verstärkte sich, wurde kraftvoller. Mit einem tiefen Atemzug sog er die frische Morgenluft in seine Lungen. Ich spürte seinen Blick auf meinem Körper und es kostete mich Selbstbeherrschung in dieser Haltung zu verharren.

Ohne Vorwarnung löste Valentin plötzlich seine rechte Hand von mir und schlug im selben Augenblick mit der Handfläche hart zu. Klatschend traf er meinen Hintern, sehr hart, und sofort presste er seine Finger wieder in das weiche Fleisch.

Vor Überraschung, aber auch vor Schmerz, schrie ich mit spitzer Stimme auf. Für einen kurzen Augenblick wollte ich empört aufbegehren und aus der erniedrigenden Haltung ausbrechen.

Doch Valentins Hände spürten den aufflammenden Widerstand, ertasteten das Zusammenziehen meiner Muskeln. Entschlossen übte er Gegendruck aus und zwang mich mit festem Griff zurück in die von ihm gewünschte Haltung.

Ich keuchte wütend und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.

Als er spürte, dass mein stiller Protest erlahmte, sprach er weiter. „Denken sie, dass wir beide hier als Gleichberechtigte handeln?“ Valentins Stimme hatte sich kaum hörbar verändert. Ein leicht und äußerst wohl dosierter aggressiver Unterton vibrierte in seiner Stimme mit.

Ich musste tief Luft hohlen.

Dieses kurze Zögern nahm Valentin sofort zum Anlass mit der anderen Hand zuzuschlagen und auch der anderen Hälfte meines Hinterns einen schmerzhaften Hieb zu verpassen.

„Nein!“ schrie ich beinahe augenblicklich, weniger als Antwort, sondern mehr zur Prävention gegen einen weiteren Schlag. Gurgelnd presste ich die Luft aus meinen Lungen.

Valentin verschob seine Hände um wenige Millimeter und erinnerte mich so, dass er immer noch hinter mir stand, bereit sofort wieder zuzuschlagen. „Was meinen sie mit Nein?“

Die Gedanken rasten in meinem Kopf. Im hilflosen Versuch Erleichterung im Chaos zu finden, schrie ich nochmals auf. Wut schnaubte dabei mit. Ohne es auszusprechen ließ ich auf diese Weise die Aufforderung mit klingen, mir Zeit für eine Antwort einzuräumen.

Aber Valentin war dazu nicht bereit. Mein Oberkörper sackte auf das Bett, als der dritte Schlag mich wieder rechts traf. Erbarmungslos und mit Wuchte hatte seine flache Hand erneut voll meinen Hintern getroffen. Die Haut brannte dort jetzt wie Feuer und ich erstickte ein Aufheulen, indem ich meine rechte Hand in das Laken krallte und dieses auf meinen Mund presste. Ein Weinkrampf schüttelte meinen Körper durch.

„Sprechen wir von Gleichem zu Gleichem?“ wiederholte Valentin in mein Wimmern hinein seine Frage.

Noch immer die Faust mit dem Laken gegen meinen Mund gedrückt, schüttelte ich den Kopf. Dann zog ich die Hand etwas zurück, um sprechen zu können. „Nein, wir sind nicht gleich.“ Ich sprach leise und die Resignation war deutlich zu hören. Meine Stimme hisste die weiße Flagge als Zeichen meiner Selbstaufgabe.

„Gut.“ Valentin lockerte seinen Griff an meinem Hinter und streichelte wieder die Stellen, die er eben noch so hart geschlagen hatte. „Warum aber haben sie mich dann geduzt, als sie mich vorhin fragten, ob ich wieder zu ihnen ins Bett kommen möchte?“

Das war es also gewesen. Für diesen kleinen Fauxpas hatte er mich gezüchtigt. Vor Überraschung hätte ich beinahe erneut aufgeschrien.

Valentin tappte mir leicht mit der vollen Handfläche auf die linke Hälfte meines Hinterns und erinnerte mich so an seine Ungeduld, was die Beantwortung von gestellten Fragen anbelangte.

„Es tut mir leid.“ Ich presste meine Worte hastig heraus. „Es war ein Versehen.“

„In Fragen des Respektes mir gegenüber bin ich sehr strikt.“ versicherte mir Valentin. „Ich möchte sie dahingehend bitten keine Nachlässigkeiten an den Tag zu legen.“

Als der Druck seiner Hände sich aufs neue verstärkte nickte ich sofort heftig.

„Gut.“ sagte Valentin, Zufriedenheit in seiner Stimme mitschwingen lassend.

Ich wollte mich gerade erleichtert wieder entspannen, als Valentin weiter sprach.

„Aber …“ Mit einer kunstvollen Pause rief er sogleich meine volle Aufmerksamkeit zurück. Er schob jetzt seine Hände von meinem Hintern ausgehend meinen Rücken hinauf bis er die Schulterblätter berührte. Er musste sich dabei zwangsläufig etwas über mich beugen. Als dann noch seine Hände über meine Flanken sich zu meinen Brüsten vortasteten, spürte ich seinen warmen Atem auf meiner Wirbelsäule. Sein Gesicht musste jetzt sehr nahe über mir sein. Offensichtlich sog er die Luft tief über seine Nase ein und damit auch den Duft meines Körpers. Womöglich konnte er sogar meine Angst und Erregung riechen, als seine Hände sich schonungslos fordernd um meine hängenden Brüste schlossen.

Ich konnte nicht erklären, warum ich ihm so freizügig und ohne jede Gegenwehr den Zugang zu meiner Weiblichkeit gewährte. Er nahm meine Brüste nicht wie ein Geschenk, was ihnen gerecht geworden wäre. Nein. Er packte sie mit der Selbstverständlichkeit eines Eroberers, der Unterwerfung gewohnt war.

Und er ließ mich diese Attitüde erbarmungslos spüren. Sein Griff war nicht der eines Liebhabers, der den Körper der begehrten Frau verwöhnte. Seine Hände an meinen Brüsten erinnerten mich eher an das grobe Gebaren eines Viehhalters, der seine Kühe molk.

Dabei empfand ich das wilde Spiel seiner Hände, die sich um meine Brüste schlossen und dann wieder lösten, nur um sich gleich wieder zu schließen, eher als erniedrigend als schmerzhaft. Doch da war noch etwas anderes, verstörendes. Ich empfand zunehmende Lust. Dem Verstand nach hätte ich Valentins Behandlung meines Körpers als abstoßend empfinden müssen. Aber eher das Gegenteil war der Fall. Ich musste mich konzentrieren ihm nicht meine zunehmende Erregung zu offenbaren.

Valentin schob sein Gesicht nahe an mein rechtes Ohr. Er lockerte dabei etwas seinen Griff um meine Brüste, was mir erlaubte tief Luft zu holen. „Ich werde dir helfen dich zukünftig besser an meine Erwartungen und Wünsche zu erinnern.“

Sofort stockte mir der Atem wieder. Der drohende Unterton in seinen Worten war nicht zu überhören. Zugleich konzentrierte ich mich auf meine Brüste. Ich ahnte, dass er seine Hände nicht zufällig dort hatte. Wie zur Bestätigung meiner Befürchtung begann Valentin seine Aufmerksamkeit auf meine Brustwarzen zu richten.

Zuerst fuhren seine Hände nur grob darüber, rieben, massierten und kneteten meine Lusthügel kräftig. Als meine Nippel sich hart aufrichteten, nahm Valentin diese jeweils zwischen seinen Zeige- und Mittelfinger und klemmte sie dort ein. Dann begann er durch Zusammenpressen der Finger harten Druck auszuüben.

Obwohl das noch nicht wirklich weh tat versuchte ich in Erwartung des Schmerzes instinktiv zu entkommen und drückte meinen Körper nach oben weg. Das war natürlich zwecklos, da Valentin sich über mich gebeugt hatte und damit meinen Bewegungsraum dramatisch reduzierte. Nach nur wenigen Zentimetern stieß ich schon an seinen Oberkörper, der nicht einen Millimeter nachgab. Resignierend sank ich wieder zurück und erduldete ergeben die harte Manipulation meiner Brustspitzen.

Allerdings schien ich mich in Valentins Absichten getäuscht zu haben. Er intensivierte keinesfalls seinen Griff um meine Brüste. Stattdessen und sehr zu meiner Überraschung erhob er sich langsam wieder und glitt langsam und ohne Eile von meinem Oberkörper. Wie bei einem rückwärts laufenden Film zog er nun seine Hände beinahe exakt den selben Weg zurück, den sie nur Minuten zuvor von meinem Hintern bis hin zu meinen Brüsten genommen hatten.

Als Valentin wieder stand versetzte er mir mit beiden Handflächen einen leichten Doppelschlag auf meinen Hintern. Auch dieser war nicht hart ausgeführt und wohl eher als Hinweis gedacht, welches Ziel er tatsächlich im Auge hatte.

„Ich möchte, dass du jetzt ruhig bleibst.“ verlangte Valentin mit dominanter Stimme. „Ich beabsichtige deinen Hintern zu schlagen, sehr hart. Nimm die Schläge stolz und standhaft. Zeige mir, dass du stark bist … stark für mich!“

Wenn ich mich nicht täuschte, dann klang ihn Valentins Worten nun ebenfalls Erregung mit. Er würde es genießen, mich zu schlagen. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Die ständige Anspannung, Valentins geschickte Manipulationen und meine Nacktheit ließen mich zittern. Tief in meinem Bauch spürte ich ein seltsames Brennen, dass zu meinem Erstaunen ein gewisses Entzücken verriet. Der Gedanke an die angekündigten Schläge war also durchaus aufregend.

Natürlich fürchtete ich mich zugleich vor dem Schmerz und auch mein Verstand rebellierte. Er schrie geradezu in Auflehnung und wollte einen solchen Akt der Erniedrigung keinesfalls zulassen. Wer bei klarem Verstand lässt sich schon schlagen? Das allerdings war exakt der besondere Punkt. Die Beziehung zwischen mir und Valentin hatte nichts mit dem Verstand zu tun. Hier ging es allein um Emotionen, um sehr starke Emotionen.

„Schlag mich!“ presste ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Es war fast so, als würde eine vollkommen Fremde und nicht ich selbst sprechen. Ein tiefes inneres Verlangen überschwemmte mich plötzlich und ich schwor mir stark zu sein. In Erwartung des unvermeidlichen krallten sich meine Hände bereits wieder in das Bettlaken.

Valentin ging hinter mir in Position. Ich konnte deutlich hören, wie seine Atmung sich beschleunigt hatte. „Ich will dich!“ schnaubte er, offensichtlich nur mühsam seine eigene Begierde unter Kontrolle haltend. Dann schlug er zu.

Mental gut vorbereitet nahm ich den Schlag beinahe ohne Regung, wenngleich er auch höllisch auf meinem Hintern brannte. Valentin hatte mich voll mit der flachen Hand getroffen. „Ich will dich auch!“ stieß ich aufheulend zurück, als die erste brennende Schmerzwelle abgeebbt war.

Valentin quittierte mein Geständnis unverzüglich mit dem nächsten Schlag, diesmal mit der linken Hand ausgeführt und die linke Seite meines Hintern treffenden.

Ein Gurgeln konnte ich nicht mehr unterdrücken. Den wilden Schmerz substituierend presste ich mein Kinn auf meinen Oberkörper.

„Still!“ verlangte Valentin heißer. Dann gab er mir Zeit und wartete bis ich den Kopf wieder etwas anhob. Offensichtlich nahm er das als Zeichen fortzufahren und schlug zum dritten mal zu.

Er hatte genau die Stelle wie beim ersten Hieb getroffen. Das Brennen auf meiner Haut schien sich urplötzlich zu addieren und ich zuckte zusammen. Mühsam rang ich um Selbstbeherrschung.

Da folgte schon der vierte Schlag, diesmal wieder links. Ein hässliches Klatschen auf meiner gepeinigten Haut ging der kaum zu ertragenden Qual voraus.

Diesmal konnte ich einen richtigen Schmerzensschrei nicht mehr unterdrücken.

„Still sagte ich!“ verlangte Valentin aufs neue wütend.

Ich nickte zum Zeichen des Verstehens und spürte, wie Tränen von meinem Gesicht hinunter aufs Bett tropften.

Valentin gab mir nun einen Doppelschlag, erst rechts und dann links. Er legte weniger Kraft hinein und bemühte sich offensichtlich auch etwas höher zu treffen.

Es gelang mir jeden Schrei zu unterbinden. Allein mein Schluchzen gab Valentin einen Anhaltspunkt, welche Wirkung seine Züchtigung hatte.

Das schien ihm besser zu gefallen. Er hatte Tempo und rechte Schlagkraft gefunden. Wohl dosiert folgenden nun vier Schläge in zügiger Abfolge. Auf seinen Treffer folgte mein Wimmern. Genau darauf stieg Valentin nun ein und begann mich kontinuierlich mit seinen Hieben einzudecken.

Mein Stöhnen und das Klatschen der Hiebe fanden einen schaurigen Rhythmus. Schlag folgte auf Schlag und ich passte meine Atmung diesem Muster an. Schnell begann sich mein Körper zu winden und so Kompensation zu den Schmerzen zu finden. Dieses Schauspiel ähnelte schnell der monotonen Bewegung eines Galeerensklaven. Die Schläge gaben nicht nur den Takt an, sondern bestimmten auch die Richtung, in welche sich mein gemarterter Körper zunehmend heftiger warf.

Valentin intensivierte dieses abartige Spiel, indem er wieder kräftiger zuschlug. Meine Versuche die Schreie zu unterdrücken und stattdessen nur grunzend die Luft aus meinen Lungen zu pressen, musste Musik in seinen Ohren sein.

Mein Körper verwandelte sich unter seinen gnadenlosen Händen zu einer Masse aus Schmerz und zuckender Ekstase. Längst hatte ich meine Schulterblätter nach oben gedrückt und die meisten Muskeln angespannt. Mein verschwitzter und geröteter Körper musste für Valentin ein atemberaubender Anblick sein. Bald konnte ich spitze Schreie nicht mehr gänzlich unterdrücken. Mein Hintern brannte wie Feuer die Schmerzen jagten Welle um Welle durch meinen Körper.

Und bald spürte ich etwas vollkommen neues. Auf den Wellen, die meinen Körper in ständiger Bewegung hielten und damit versuchten auch etwas von der Pein davonzutragen, ritt bald ein gänzlich unheimliches Gefühl mit. Wie eine stetig heftiger tobende Schaumkrone erkannte ich darin die eindrucksvollen Anzeichen eines aufkommenden sexuellen Höhepunkts.

Ich hatte meinen Mund zum stillen Schrei aufgerissen. Mein Gesicht war fraglos von ungläubigem Staunen verzerrt, wenn nicht sogar entstellt. Zu brennenden Schmerzen gesellte sich die Hitze der Lust. In diesem physischen und psychischen Ausnahmezustand machte ich absolute Grenzerfahrungen. Die Lust, so merkte ich bald, kompensierte den Schmerz. Im ultimativen Verlangen letzterem zu entkommen sehnte ich mich ersterem entgegen. Jede Bewegung meiner Muskeln wurde zu einem erotischen Beben, das mich weiter und weiter dem Orgasmus entgegen warf.

Valentin legte noch etwas mehr Kraft in seine Schläge. Er nutzte missbrauchte geradezu meine Qualen um mir jeden Rückweg abzuschneiden. Er ließ nur den Höhepunkt als einzigen Fluchtweg offen. Und zu diesem Trieb er mich wie ein wütender Reiter, welcher in unbeherrschten Verlangen nach Schnelligkeit sein Tier immer erbarmungsloser schlug.

Alles verschmolz um mich herum zu einem brodelnden Inferno. Dessen vernichtendes Feuer verschmolz Realität und Phantasie, Schmerz und Lust, Fleisch und Empfinden, Valentin und mich zu einem Plasma, das nicht mehr von dieser Welt war. Der plötzlich einsetzende Höhepunkt war wie die Geburt einer Sonne. Ein gleißendes Licht entfachte Kräfte, die mich zum Anbeginn alles Seins zurück rissen.

Die Partikel dieser Eruption jagten hinaus in die Dunkelheit erfüllten diese mit einer Schönheit, die nur Momente existieren konnte und die zu erfahren schon den Tod der selben ankündigte. Für einen winzigen Moment stand alles still. Dann sackte mein Körper bewusstlos aufs Bett zurück. Ich nahm nicht mehr wahr, wie die immer noch durch das offene Fenster sanft pulsierende Morgenluft den Schweißfilm auf meiner Haut abkühlte und diese zur Gänsehaut reizte.

Noch einmal, wie das letzte Aufflackern eines ausgehenden Kerzenlichtes, wog das Leben durch meinen Körper. Ich röchelte und erkannte durch den Nebelschleier meiner in Tränen ertränkter Augen einen dunklen Schatten über mir. Der Schatten senkte sich und legte sich beinahe schwerelos auf mich. Fast augenblicklich war die Kälte verschwunden. Valentin hatte mit fürsorglicher Geste eine Bettdecke über meinen nackten Körper gebreitet. Mit diesem letzten sehr angenehmen und überaus beruhigenden Gedanken driftete ich endgültig in das erlösende Land der Träume.

Episode 6 – Sonntag

Ich schlich schon zum dritten mal um meinen Wohnzimmertisch. Dabei war ich mir durchaus bewusst, dass mein Verhalten dem einer Katze glich, welche auf leisen Pfoten um und in gespannter Haltung die Beute einkreiste. Im Zentrum meines Interesses stand jedoch kein Tier, dem ich im geschmeidigen Angriff den Tod bringen wollte, sondern eine kunstvoll verzierte Karte. In der Mitte gefaltet stand diese Aufrecht mitten auf dem Tisch und in sie hinein gesteckt ragte oben eine blutrote Rose, drei feine Dornen an ihrem Stiel zeigend, heraus.

Auf der Vorderseite der Karte prangte in kunstvoll verschnörkelten goldenen Buchstaben zuerst das Wort „Einladung“ und dann, nur leicht größer geschrieben, „Galeria Gomez“. Dazu war auf dem schneeweißen Karton ein feines Muster an schwarzen und dunkelroten Ornamenten abgedruckt, welches einen kunstvollen Rand bildete und, auch das fiel mir auf, wie die Ranken einer wuchernden Wildrose seine Triebe zu den Buchstaben des Textes ausstreckte. Zweifelsfrei handelte es sich um eine sehr edle Einladungskarte, welche von stilvoller Hand gestaltet war und gediegene Exklusivität verriet.

Karte und Rose standen dort als stiller Gruß und schlichte und sehr unaufdringliche Erinnerung an Valentins Anwesenheit. Ich hatte sie gestern, nachdem ich aufgestanden war, nicht sofort entdeckt. Um so überraschter war ich dann, als ich sie fand. Es hatte nur Sekunden gedauert, bis ich in diesem bescheidenen Arrangement Valentins eindrucksvollen Stil erkannt hatte. Sein Talent mit sparsamen und wohl kalkulierten Gesten maximalen Effekt zu erzielen, erstaunte mich stets aufs neue.

Mit ihrem eindrucksvollen Rot stand diese Rose seit jeher als ein Symbol für die Geheimnisse und Leidenschaften der Liebe. Aber beide waren immer auch mit Gefahren verbunden. So wie Liebe einen Menschen bis in den Himmel heben konnte, so vermochte sie auch restlos zu zerstören. Oft genug geschah das, weil Leidenschaft den klaren Blick trübte und jene Steine der sonst so wachen Aufmerksamkeit entzog, über die man später straucheln würde. Dieser warnende Gedanke wurde sehr präsent, als ich die Dornen der Rose betrachtete.

Die Dornen waren nicht groß und alles andere als eindrucksvoll. Aber sie konnten die Haut durchbohren und das Blut desjenigen fordern, der sie ohne die gebotene Achtsamkeit berühren wollte. So lagen das Schöne und das Verletzende eng beieinander. Das machte wohl den Reiz der Rose aus, die auf diese Weise wie keine andere Pflanze ihrer Gattung für all das Treibende und zugleich Vernichtende der Menschen stand. Glück und Untergang lagen nicht selten so nahe zusammen, wie Blüte und Dornen der Rose.

Lockruf und Warnung, formulierte ich still mit den Lippen. Das war es. Dieses fortdauernde Kreisen meiner Gedanken schärfte meinen Verstand und war zugleich eine intellektuelle Ablenkung für die unerhörten Erlebnisse des Vortages, die mein bisheriges Selbstverständnis bis in die Grundfesten erschüttert hatten.

Zuerst empfand ich nach meinem zweiten Erwachen gestern nur Leere. Dieses mal wusste ich, dass Valentin gegangen war. Nichts stimulierte mehr meine Sinne, kein fremder Atem und kein feines Kräuseln zeigten sich auf der Haut. Einzig eine völliges emotionales Vakuum waren geblieben. Es war keine Erschöpfung, wie sie nach großer Anstrengung auftrat, sondern vielmehr eine geradezu vollkommene Entladung aller Energien. Ich fühlte mich weder gut noch schlecht.

Doch so wie der Schlaf verflog, kehrte das Leben in meinen Körper zurück. Mit diesem füllte sich das Vakuum und langsam, aber mit unheimlich ansteigender Konstanz, baute sich ein Gefühl totaler Erniedrigung auf. Erschüttert fragte ich mich selbst, zu was ich mich da hingegeben hatte. Zwar war der Schmerz der Schläge längst verflogen, wenngleich ich noch ein deutliches Ziehen an meinem Hintern spürte. Doch der Zustand meines Bettes sprach Bände und verriet deutlich, was sich nur Stunden zuvor darin abgespielt hatte.

Als ich genug Kraft gesammelt hatte floh ich geradezu aus dem Schlafzimmer. Damit versuchte ich mich dem aufkommenden Sturm quälender Erinnerungen zu entziehen. Dieser Gedanke trieb mich aus dem Schlafzimmer. Ziellos und noch nicht in der Lage mich dem Erlebten zu stellen war ich durch die Wohnung geirrt. Ich fühlte mich schutzlos und grenzenlos einsam. Niemand streckte Halt gebend die Hand zu mir aus, noch war da ein Seil, das meinen Fall bremsen sollte. Dann fand ich die Karte mit der Rose darin.

Im ersten Moment hatte mich eine unsägliche Erleichterung überkommen. Dachte ich zuvor noch, Valentin hätte mich zurück gelassen wie einen gebrauchten Lumpen, so wusste ich jetzt, dass er nicht ohne ein für ihn so typisches Zeichen gegangen war. Er hatte seinen stillen Abschiedsgruß so fein dosiert, dass mir der Atem stockte. Unwillkürlich musste ich in diesem Moment an ein sehr populäres Gleichnis denken, dass oft in christlichen Predigten verwendet wurde. Niemand fällt tiefer als in Gottes Hand. Genau so fühlte ich mich, nachdem ich die Karte entdeckt hatte.

Mit der Karte und der Rose setzte Valentin einen überaus feinfühligen Punkt hinter eine überaus ausschweifende Orgie. Enthemmt hatten wir unseren Gefühlen freien Lauf gelassen, als gäbe es kein Morgen und keine Konsequenzen. Als ich dann schlief und dem unvermeidlichen Moment des Erwachens entgegen dämmerte, da baute Valentin mir mit respektvoller und vorausschauender Geste diese kleine Brücke, die mich in die Wirklichkeit rettete.

Obwohl ich neugierig war, bereitete ich mir zuerst ein schamlos verspätetes Frühstück zu. Dann erst studierte ich die Karte näher. Der feine Duft meines aromatischen Kaffees hing noch in der Luft, als ich die Einladung endlich in die Hand nahm und ihren Inhalt las.

Auf der linken Innenseite der Karte war die halb fertige, fast nur schemenhaft erkennbare Radierung einer nackten Frau abgedruckt. Die zweifellos sehr junge Schönheit war von großer und sehr schlanker Statur. Ihre langen Beine hielt sie, aufrecht stehend, über kreuzt. Dabei zeigte sie sich frontal dem Betrachter, hielt aber den Kopf gesenkt, so dass nur der Mittelscheitel ihrer langen Haare und kein Gesicht zu erkennen waren. Die Schultern nach vorn gezogen hielt sie ihre Arme ausgestreckt nach unten, diese ebenfalls überkreuzend und dabei die rechte Handfläche auf dem linken Oberschenkel ruhend und vis-a-vis. Die Stelle, wo sich ihre Arme überlappten, verdeckte dabei zugleich die Scham der Frau. Die fein akzentuierten Muskeln ihrer Bizeps dagegen versperrten die Sicht auf ihre Brüste. So regte das Bild, obwohl es keinen Zweifel an der vollkommenen Nacktheit der in geradezu klassisch-griechischer Pose dargestellten jungen Frau aufkommen lies, geschickt die Fantasie des Betrachters an.

Auf der rechten Innenseite waren die Ornamente nur am oberen Rand und von dort bis zur Mitte des äußeren rechten Randes reichend aufgedruckt. Im Gegensatz zur Vorderseite waren die Ornamente allerdings hier nur von schwarzer Farbe. Von diesen rankten sich jedoch dünne Triebe in die Mitte, die dann kunstvoll, in blutroter Farbe ausgeführt, zu einem Text auf blühten.

„Ich erlaube mir Sie, als geschätzten Kunstliebhaber, zu unserer Ausstellung MALERISCHE KONNOTATION in den Räumen meines Ateliers einzuladen. Neben meinen eigenen Werken dürfen sie zahlreiche und sorgfältig ausgewählte Arbeiten von Studenten der Kunstakademie bewundern. Im Mittelpunkt dieser exklusiven Ausstellung stehen anregende Vermischung von Sehen und Phantasie, von Klarheit und Geheimnis. Ich laden sie ein, gemeinsam mit anderen Gästen und mir, eine Entdeckungsreise zu den Wurzeln künstlerischer Motivation zu wagen. Die Galerie öffnet für einen handverlesenen Liebhaberkreis am kommenden Sonntag ab 12:00 Uhr mittags. Es wäre mir eine große Freude sie dort begrüßen zu dürfen.“

Es folgte die Adresse des Ateliers. Soweit ich das sehen konnte, handelte es sich um eine der gehobeneren Gegenden der Stadt. Sie passte damit zu der eindrucksvollen und sehr aufwendigen Gestaltung der Einladung. Es gehörte wenig Vorstellungskraft dazu, den Personenkreis der eingeladenen Personen in eher vermögenden gesellschaftlichen Schichten zu vermuten.

Auf dem unteren Drittel der Seite stand noch eine handschriftliche Ergänzung. Diese war mit blauer Tinte hinzugefügt und zeigte eine grazile und überaus schöne Schrift. Für mich bestand kein Zweifel, dass es sich dabei um Valentins Handschrift handelte.

„Liebe Amelie, Sie würden mir eine große Freude machen, wenn Sie mich zu dieser Ausstellung begleiten. In Erinnerung an unser überaus angenehmes Gespräch in meiner Bibliothek könnte mir auch sehr gut vorstellen, dass die Galerie ihrem Geschmack entspricht. Ich schicke ihnen am Sonntag um 13:00 Uhr ein Taxi, das sie zu der angegebenen Adresse bringen wird. Ich freue mich sehr auf einen inspirierenden Nachmittag in ihrer Gesellschaft. Valentin.“

Zuerst hatte ich mir eingeredet, ich wüsste nicht, ob ich die Einladung annehmen sollte. Die Beziehung zu Valentin hatte mich schon soweit gebracht, dass ich mich selbst zu belügen anfing. Dabei wusste ich tief in meinem Inneren, dass ich die Einladung ganz sicher nicht ausschlagen würde. Der Verstand mochte sich sträuben. Aber mein Herz und ein Verlangen, vom tiefen Grund meiner Seele kommend, gaben längst den Ton an.

Der Lärm tobender Kinder, der vom Hinterhof bis herauf zu meinen nur angelehnten Fenster drang, rief mich in die Wirklichkeit zurück. Es war noch eine gute Stunde, bis ich abgeholt würde. Seufzend wischte ich vorerst die Erinnerungen an gestern beiseite und ging ins Bad.

Dort machte ich mich sorgfältig zurecht. Ich tat es weniger wegen Valentin und noch weniger aus dem Bedürfnis gut auszusehen. Es lenkte mich schlicht und einfach ab und überbrückte die Wartezeit quälende Wartezeit.

Ich wählte sehr bequeme Shorts und ein die Figur betonendes luftiges und ärmelloses Shirt als Kleidung. Dazu schlüpfte ich in sehr legere Segeltuchschuhe. Ich Spiegel überprüfte ich meinen Gesamteindruck. Die Kleidung war sommerlich und sehr lässig, stand mir aber hervorragend, wie ich fand. Die Shorts zeigte viel von meinen Beinen und das Shirt erlaubte von der Seite her einen kecken Blick auf meinen Busen, den ich mit einem Bikini-Oberteil gegen allzu freche Aufmerksamkeit verhüllt hatte.

Ich war zufrieden mit meinem Aussehen. Meine Anspannung hatte sich gelegt und auch das unangenehme und sicherlich meist ergebnislose Grübeln war fort. Von der Küche her hörte ich vertraute Klänge aus dem dort vor sich hin spielenden Radio. Ich stand einen Moment still und lauschte dem Lied, das gerade gespielt wurde.

Ich mochte es sehr, ganz besonders wenn ich in melancholischer Stimmung war. Erfreut summte ich mit und bewegte leicht meinen Kopf zum Rhythmus des Liedes.

Mit wippendem Oberkörper ging ich hinüber zum Schlafzimmer und dort angekommen tanzte ich schon fast zur Melodie.

Im Schlafzimmer öffnete ich meinen Kleiderschrank. Summend nahm ich aus dem oberen Regel meine Schmuckkiste und stellte sie vor mich in eines der unteren Fächer, wo ich deren Deckel aufklappte.

Vor mir, auf dem schwarzen Samt, mit dem das Kästchen innen ausgekleidet war, glitzerten der goldene Armreif, die Ohrringe und die dazu passende Kette, die ich von Helena und Valentin bekommen hatte. Ein warmer Schauer raste durch mein Herz, als aus dem Radio der Refrain des Liedes schmetterte.

Von ganzem Herzen sang ich jede Zeile des Refrains mit. Heute traf es wieder perfekt meine Stimmung. Inspiriert von diesem großartigen Lied sah ich jetzt dem Treffen mit Valentin viel optimistischer entgegen.

Das Gold der Schmuckstücke hatte einen warmen Glanz. Wenn man innerlich sehr aufgewühlt war, dann konnte man den Reiz, den das wertvolle Edelmetall auf die Menschen ausübte, gut verstehen. Seine Wärme verlieh ein seltsames Gefühl von Sicherheit und Zufriedenheit.

Ich legte die Kette an und streifte den Armreif über. Der Schmuck und die Musik hatten eine belebende Wirkung auf mich. Die letzten Reste düsterer Gedankenfetzen verschwanden endgültig, als ich lauthals zum zweiten mal den Refrain mit sang. Da signalisierte die Klingel an der Tür auch schon mein Taxi. Erwartungsvoll und ziemlich heiter gestimmt verließ ich die Wohnung.

Das gleißende Sonnenlicht während der Fahrt tat sein übriges. Die hellen Straßen mit ihren satten Farben und dem überaus kräftigen Grün der Bäume wirkten belebend. Es war eine Freude, die Blicke dahin gleiten zu lassen. Die positive Stimmung versetzte auch meinen Intellekt in neue Aufnahmebereitschaft. Gespannt sah ich dem Ausstellung entgegen und freute mich auf einen interessanten Nachmittag. Valentin hatte sich schon mehrfach als ein sehr intelligenter und unterhaltsamer Unterhalter bewiesen. In seiner Gesellschaft bestand wenig Gefahr auf Langweile. Es würde mich wundern, wenn er nicht auch zu Bildern reichhaltige und tiefgründige Gedanken ausbreiten würde.

Nach einer dreiviertel Stunde erreichte das Taxi das Atelier. Der Fahrer hatte mir vorher bereits versichert, dass der Transport komplett geregelt sei und bereits bezahlt war. So verabschiedete ich mich und trat vor das Gebäude. Es handelte sich um einen ebenerdigen Flachbau mit viel Glas, der direkt an ein mehrgeschossiges Geschäftshaus anschloss. Die niedrige Bauweise gab den Blick die Kronen von noch recht jungen Linden frei, die offensichtlich dominierendes Element einer noch jungen kleinen Parkanlage hinter dem Haus waren.

Die Straße säumten hingegen auf beiden Seiten mächtige Kastanien, die auf ein altes, gewachsenes Viertel schließen ließen. Die Grundstücke in der Nachbarschaft waren alle sehr gepflegt und die Fassaden der Häuser machten einen noblen Eindruck. Hier lebten und arbeiteten Menschen, die einen gewissen Status zeigen wollten.

Vor dem Atelier empfingen zwei junge Frauen die Gäste und boten ihnen einen zur Begrüßung und Einstimmung Sekt an. Es war einiges los und die meisten Gäste trugen zu meiner Erleichterung ebenfalls ungezwungene Freizeitkleidung. Dezent auf die große Glasfront aufgetragene Werbung verriet, dass im Gebäude verschiedene Kunstwerke zum Verkauf angeboten wurden.

Für einen kurzen Augenblick überfiel mich die unbestimmte Angst, meine Freundin Helena hier zu treffen. Aber dann beruhigte mich schnell selbst dahingehend, dass Valentin das sicherlich zu verhindern wusste. Ich nahm eines der angebotenen Sektgläser und trank es, sorgfältig die anderen Besucher musternd, etwas abseits im Schatten einer der Kastanien. Die Stimmung war gelöst und die meisten unterhielten sich angeregt. Ich kannte jedoch niemanden, was nicht besonders verwunderlich war. Auch Valentin war nicht unter den Gästen vor dem Atelier, in dem immer wieder Gäste verschwanden oder aus diesem heraus kamen.

Ich trank mein Glas aus und ging zum Eingang. Freundlich aber bestimmt verlangte dort der stämmige Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes meine Einladung. Er akzeptierte diese durch Nicken und wies mir höflich den Weg ins Gebäude.

Im Empfangsbereich befand sich ein kleiner Tresen und direkt daneben eine gemütliche Sitzgruppe aus Ledersesseln, welche eine Reihe Grünpflanzen umgaben. Ansonsten war alles eher spartanisch gehalten und verriet ein feines und sehr ordentliches Unterstatement. Die leicht in ockerfarben gehaltenen Wände zierten unaufdringlich angebrachte Zeichnungen und Malereien. Kleine Schilder darunter verrieten Titel und Künstler und manchmal auch Erläuterungen.

Neben dem Tresen führte ein breiter Durchgang in die hinteren Räume. Ein kleines Schild mit einem Pfeil wies den Bereich dahinter als Ausstellungsräume aus. Ich schlenderte hindurch.

Dahinter gingen von einem zentralen Raum drei größere Säle weg. In der Mitte des zentralen Raumes stand eine Skulptur. Sie zeigte einen fein gearbeiteten Männerkörper, die auf dem Boden kniete und mit der rechten Hand über das reliefartig darin eingelassene Gesicht einer Frau strich. Es sah fast so aus, als würde er es vom Staub befreien. Es war eine eindrucksvolle Arbeit mit einer bemerkenswerten Ausdrucksstärke.

Eine Lichtschleuse aus Milchglas im Dach warf ein sehr weiches und natürliches Licht auf die Szenerie. Die Augen der Frau, von der ja nur das Gesicht zu sehen war, waren geschlossen. Es schien als würde sie schlafen, für alle Ewigkeit im Boden eingeschlossen und von diesem behütet. Ihre friedlichen und entspannt entwickelten Züge schienen das nahe zu legen. Der Mann hingegen sah nachdenklich auf die Frau hinunter. Seine Hand war dermaßen gut modelliert, dass man den Eindruck hatte, er wagte fast nicht das Gesicht der Frau zu berühren. Ich war tatsächlich ergriffen.

„Was halten sie von dieser Arbeit?“

Irritiert und überrascht von der unerwarteten Tatsache hier angesprochen zu werden, drehte ich mich um. Die Stimme klang mir vollkommen fremd. Hinter mir, vielleicht zwei Schritte entfernt, stand ein junger Mann. Er war ungefähr von meiner Größe und zeigte einen sportlichen und sehr schlanken Körperbau. Sein dichtes und geradezu pechschwarzes Haar war kurz geschnitten und betonte sein jungenhaftes Äußeres, auch wenn sein Alter sicherlich schon bei Mitte zwanzig zu liegen schien. Die sonnengebräunte Haut und seine sehr dunklen Augen gaben ihm einen exotischen Anschein. Ich vermutete, dass in seinen Adern südeuropäisches Blut floss.

Lächelnd, die Arme hinter seinem Rücken verschränkt, sah er mich an. Er trug modische Sportschuhe, eine weiße Hose und ein schwarzes Polohemd. Die Kleidung war sicherlich nicht billig, auch wenn die Etiketten darauf mir nichts sagten.

„Die Skulptur ist faszinierend.“ gab ich zu. „Sehr ausdrucksstark und die Fantasie anregend.“

„Ich gab dieser Arbeit den Namen Vergänglichkeit.“ sagte mir der Unbekannte und nickte zustimmend.

„Vergänglichkeit?“ fragte ich interessiert.

„Ja.“ Er trat neben mich. „Wir alle sind vergänglich und zerfallen zwangsläufig wieder zu dem Staub, aus dem wir einst entstanden. Die Tragik dabei ist nicht die Tatsache der Vergänglichkeit als solches. Dafür gäbe es Trost. Das Schmerzhafte ist die Chronologie. Für Vergänglichkeit gibt es immer Zeugen. Letztere müssen den Schmerz ertragen und sie müssen sich lösen und loslassen. Dafür steht diese Arbeit.“ Mit intensiver Gestik und einer angenehmen Stimme erläuterte er mir den Hintergrund des Werkes. Seine Begeisterungsfähigkeit zur Thematik war nicht zu überhören. „Sehen sie das Gesicht der Frau? Noch ist gut zu erkennen. Doch bald werden die Finger des Mannes immer weniger Details ertasten können.“

Erstaunt sah ich den Mann an. Das war eine sehr schöne Erläuterung. „Sie haben diese Figur erschaffen?“

„Das habe ich.“ bestätigte der Mann. „Aber entschuldigen sie bitte. Ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin Diego Gomez, der Inhaber dieser Galerie. Ich bin ein wenig erstaunt. Die meisten meiner Kunden meinte ich zu kennen und es wäre unverzeihlich, wenn ich eine bezaubernde Person wie sie vergessen haben sollte. Aber ich kann sie beim besten Willen nicht einordnen.“

In diesem Augenblick fühlte ich mich wie ein Fremdkörper hier an diesem Ort. „Nun, ich bin hier auch zum ersten mal. Ein guter Bekannter lud mich hierher ein. Vielleicht kennen sie ihn. Sein Name ist Valentin Thiesen. Ich bin Amelie, Amelie Frohwein“

Diego zog die Augenbrauen hoch. „Valentin?“ fragte er erstaunt. „Interessant.“

Ich errötete bei seiner letzten Bemerkung. Ich war mir nicht sicher, ob er womöglich etwas über unserer Beziehung wusste.

Sofort half mir Diego über den Moment der Unsicherheit hinweg. „Wollen wir uns gemeinsam nach Valentin umschauen? Das erlaubt mir einen Moment länger die sehr angenehme Erfahrung ihrer Gesellschaft und sie finden Valentin. Einverstanden?“

„Einverstanden.“ antwortete ich sofort. Ich musste zugeben, die Gesellschaft Diegos empfand auch ich trotz der gerade überstandenen Verlegenheit als sehr wohltuend. Diego stellte zum Glück keine weiteren Fragen zu meinem Hintergrund und schlenderte mit mir durch die Ausstellung.

Die größeren Säle hatten alle wenigstens eine Glasfront, welche ausreichend Tageslicht herein ließen. Ein künstliche Beleuchtung war kaum erforderlich. Dennoch tauchten geschickt angebrachte Spots Bilder in ausdrucksstarkes Licht. Die Wände zierten Kunstwerke aller Art. Darunter befanden sich Zeichnungen, Schnitte, Abdrücke und richtige Gemälde aller Stilrichtungen. Manche waren Mischungen aus verschiedenen Techniken und gelegentlich hingen dort auch Reproduktionen bekannter Meisterwerke. Die Anordnung verriet ein kundiges Auge und war sehr gelungen.

Dabei hatten alle Werke eines gemeinsam. Sie zeigten ausschließlich Menschen. Bei gut der Hälfte handelte es sich um Aktbilder beider Geschlechter. Überall standen kleine Gruppen oder einzelne Gäste, die leise diskutierend oder gänzlich still die diversen Arbeiten betrachteten. Immer wieder tauschte Diego dabei Höflichkeiten mit anderen Besuchern aus und verstand es sich stets wieder galant von diesen zu lösen.

Dann fanden wir auch Valentin. Er stand zusammen mit einer schlanken dunkelhaarigen Frau vor einem impressionistischen Gemälde. Mir fiel sofort auf, dass die Körperhaltung der Frau einen offensiven Anschein erweckte. Fast konnte man meinen, sie konfrontierte Valentin mit etwas. Dieser wiederum hielt, wie zur Abwehr, seine Arme vor dem Oberkörper verschränkte und lächelte die Frau an. Mir kam dieses Lächeln allerdings sehr kühl und eher wie eine aufgesetzte Fassade vor.

Die Frau stand mit dem Rücken zu uns. Valentin hingegen sah fast in unsere Richtung. Daher entging es ihm nicht, als Diego gemeinsam mit mir den Saal betrat. Bei meinem Anblick lösten sich Valentins eingefrorene Gesichtszüge etwas und sein Blick wurde sichtlich wärmer. Mein Verdacht hinsichtlich einer Konfrontationssituation zwischen der unbekannten Frau und Valentin verhärtete sich.

Offensichtlich machte Valentin eine entschuldigende Bemerkung zu seiner Gesprächspartnerin. Vorsichtig berührte er den Arm seines Gegenübers und deutete in unsere Richtung. Ich konnte allerdings nicht verstehen, was er ihr dabei mit leiser Stimme sagte.

Die Frau drehte sich daraufhin zu uns um. Sie sah zweifellos gut aus, war allerdings schon etwas älter. Ich schätzte sie auf Ende dreißig. Für einen Augenblick nahm ich sehr deutlich wahr, wie sie mich interessiert musterte. Aus ihrem Gesichts sprach dabei eine sehr routinierte Neugier, was mich aus unerklärlichen Gründen verunsicherte. Ihre Augen waren geradezu prüfend und ich hatte den unbestimmten Eindruck, dass sie mich förmlich durchleuchtete. Das hatte schon etwas unangenehm abschätzendes an sich. Doch da hatte sie sich schon wieder Valentin zugewandt und reichte ihm die Hand.

Offensichtlich verabschiedete sie sich mit einer knappen Geste. Diego wartete mit mir respektvoll ein paar Schritte entfernt. Als die schwarzhaarige uns passierte nickte ihr Diego zu „Linda.“

Sie erwiderte die knappe Geste „Diego.“ Noch im Vorbeigehen glitten ihre Augen erneut über mich. Wieder war ihr Gesicht dabei nicht unfreundlich. Jedoch blieb ihr Blick sehr unangenehm, gerade weil ich ihn nicht zu deuten wusste. Im Gegenzug gab sie mir allerdings so auch die Gelegenheit sie nochmal näher zu betrachten, wenngleich das nur flüchtig möglich war.

Ich musste zugeben, die Frau sah wirklich gut aus. Ihr Körper war ausgesprochen sportlich, fast schon muskulös. Fitnessstudios waren ihr vermutlich nicht sehr fremd. Sie hatte zudem eine sehr dominante Ausstrahlung. Mit Sicherheit war sie keine Frau, die sich gern von jemand anderem Vorgaben machen lies. Ich vermutete, dass nicht nur ihr attraktives Äußeres, sondern auch ihr Intellekt Quelle für ihr Selbstbewusstsein waren.

Valentin sah ihr noch einen Augenblick nachdenklich hinterher. Dann flog aufs neue ein Lächeln über sein Gesicht und er ging mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. „Meine liebe Amelie, ich freue mich sehr sie hier zu sehen. Das ist eine sehr freundliche Geste von ihnen meine Einladung anzunehmen.“ Valentin klang ehrlich erfreut und seine Mimik unterstrich das. Er legte freundschaftlich seine breiten Händen auf meine und Diegos Schultern.

Ein kurzes Schaudern durchzog mich. Genau diese Hand war es, welche gestern noch soviel Schmerz gebracht hatte.

Valentin verschwendete im Moment offenbar keinen Gedanken daran. „Wie ich sehe, haben sie bereits den Organisator dieser großartigen Ausstellung getroffen.“

Valentins Heiterkeit und Eloquenz waren wie immer belebend. Ich musste ebenfalls lächeln. „Naja, genauer gesagt traf Diego mich.“

„Ich war so unverschämt die junge Dame anzusprechen.“ gab Diego zu. „Ich war mir sicher sie hier noch nicht gesehen zu haben. Sie sagte mir, dass sie eine Bekannte von ihnen ist.“

„In der Tat.“ sagte Valentin. „Ich war so frei Amelie hierher einzuladen. Die junge Dame ist eine begabte Fotografin und ein von mir sehr geschätzter Gesprächspartner, was künstlerische Themen angeht. Nur wenige verstehen mit soviel Begeisterung und Leidenschaft darüber zu diskutieren.“

Das war zweifelsfrei eine echte Übertreibung. Aber das konnte Diego natürlich nicht wissen. Er nickte mir anerkennend zu. „Dann wäre es wirklich schade, wenn sie diese Ausstellung verpasst hätten. Ich bin mir sicher, dass sie hier viele inspirierende Anregungen entdecken werden.“ Die leichte spanische Färbung seiner rollenden Stimme klang verglichen zu uns Mitteleuropäern sehr melodisch. „Es freut mich allerdings noch mehr eine so bezaubernde Begleiterin meines guten Freundes Valentin kennen zu lernen.“

Die sehr übertriebenen Lobesreden machten mich verlegen. Unsicher suchte ich nach den richtigen Worten.

Zum Glück half Valentin darüber hinweg, indem er das Gespräch wieder an sich zog. „Amelie, meinen Freund Diego hier schätze ich ebenso für seinen künstlerischen Sachverstand. Gerade was Fragen malerischer Expertise angeht ist er für mich ein unverzichtbarer Berater.“

„Wo stammen sie her, Diego.“ fragte ich neugierig, dankbar wieder ein sachliches Thema zu haben. „Ihr Name lässt auf Spanien schließen.“

Diego lachte freundlich und mit einer jugendlichen Aufgeschlossenheit. „Nicht ganz. Mein Vater stammt aus Argentinien. Daher er spanisch klingende Name.“

„Und Diego und sein Vater Ricardo sind international anerkannte Kunst- und Antiquitätenhändler.“ fügte Valentin sekundierend hinzu. „Davon abgesehen machte sich Diego mit eigenen Werken ebenfalls einen Namen als Künstler.“

Ich nickte anerkennend, über soviel Vielfältigkeit. Es machte mich zugleich wieder verlegen. Verglichen mit diesen beiden Männern war ich eine wirklich unbedeutende Person und meine Anwesenheit in ihrer Mitte kam mir plötzlich wieder sehr fremd vor.

Da erwies sich zu meiner Erleichterung Diego als edler Kavalier und läutete unaufdringlich seinen Rückzug ein. „Liebe Amelie, sehr gern würde ich ihnen noch etwas länger Gesellschaft leisten. Aber ich befürchte, meine anderen Gäste und womöglich auch mein Freund Valentin würden das als unangemessen betrachten. Daher übergebe ich sie vertrauensvoll in Valentins Hände. Ich bin mir sicher, dass er sehr kompetent über diverse Werke hier Auskunft geben kann.“

Er reichte mir seine Hand und verschwand darauf in Richtung des Eingangsbereiches. Ich war jetzt allein mit Valentin, der immer noch lächelte. Sofort war meine Unsicherheit wieder präsent.

Wie aber schon zuvor ließ Valentin mich nicht schmoren, sondern übernahm sogleich den aktiven Teil des Gesprächs. „Ich danke ihnen für ihr Kommen. Und es freut mich noch viel mehr, dass sie diese wunderschöne Kette heute tragen. Sie steht ihnen ausgezeichnet.“

Sein Blick wurde jedoch nicht nur von der teuren Kette angezogen, wie ich belustigt feststellte. Ich ertappte ihn dabei, wie seine Augen mit sichtlicher Anerkennung auch meinen Busen bewunderten. Es kam mir sogar ein wenig so vor, als müsste er sich davon richtig gehend losreißen.

„Wollen wir ein wenig gemeinsam durch die Ausstellung schlendern?“ fragte Valentin, nachdem er sich wieder vollkommen im Griff hatte. Valentins Stimme war überaus liebenswürdig, fast schon väterlich. Kein Wort und keine Andeutung machte er über unser heftiges Abenteuer am Vortag. Es verwirrte mich, wie er sich beherrschte und tatsächlich mit lässigem Sachverstand und klugen Auge begann, mich auf einzelne Werke aufmerksam zu machen.

Doch sichtlich hatten es ihm nicht die Arbeiten der Studenten oder des jungen Galeriebesitzers Diego angetan. Mit fast schon ergriffenen Gesichtsausdruck blieb er vor einem sehr delikaten Werk stehen. Das Bild vor uns zeigte die lebensgroße Zeichnung einer nackten Frau, deren Rückansicht dargestellt war. Es dauerte einen Moment, bis ich die Frau als das gleiche Motiv wie in der Einladung erkannte, nur eben aus anderer Perspektive abgebildet. Das Besondere war jedoch nicht die Zeichnung an sich, oder die Blickrichtung des Betrachters. Viel auffälliger und offensichtlich zentraler Bestandteil des Kunstwerkes war ein Tattoo, das die abgebildete junge Dame auf ihrem rechten Schulterblatt trug. Bei diesem Tattoo handelte es sich um eine sehr eindrucksvolle Reproduktion der Mona Lisa.

Ich wusste, dass das Original der Mona Lisa im Louvre in Paris ausgestellt war. Allerdings war mir im Moment der Künstler entfallen, welcher das Werk erschaffen hatte. Daher blieb ich ebenfalls still, um mich nicht als ungebildet zu outen. Ich ärgerte mich im Stillen sogar ein wenig darüber.

Valentin schien, fasziniert von der Zeichnung, für einen Augenblick sogar mich zu vergessen. Es war interessant und überraschend seinen verklärten, geradezu glücklichen Gesichtsausdruck zu beobachten.

„Leonardo da Vinci.“ sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen.

Sofort fiel auch mir der Name wieder ein. Natürlich! Da Vinci war der Maler. Die Mona Lisa war eines seiner berühmtesten Werke.

„Wissen sie,“ fuhr Valentin da bereits fort, „mich fasziniert nicht das Bild selbst. Was mich beeindruckt ist die Wahl der Mona Lisa als Tattoo. Es ist eines der schönsten Gemälde der Welt. Viele Geheimnisse ranken sich um deren Entstehung. Sehen sie sich die Frau an. Mit ihren nach vorn gezogenen Schultern krümmt sie ebenfalls ihren Rücken. Von ihr ist kaum etwas zu erkennen. Sie gleicht in diese Haltung einem Engel, der ein letztes mal huldvoll zu Boden blickt, bevor er seine Flügel ausbreitet und sich in himmlische Lüfte erhebt. Und dabei nimmt uns der Engel mit auf eine Reise das Schicksal der Mona Lisa zu ergründen.“ Valentin sah mich an. Seine Augen leuchteten förmlich. „Zumindest in unseren Gedanken.“ fügte er hinzu.

Er hatte eine umwerfende Art mit Worten Gedanken zu formen oder Gedanken Worte werden zu lassen. Die Betonung der Silben verriet den Meister des Erzählens. Mich schlug er damit wieder und wieder in seinen Bann.

„Der Flug des Engels ist es, der uns einlädt mit ihm und seiner göttlichen Eleganz unsere Gedanken ebenfalls in die Ferne zu schicken. Doch es ist keine Distanz, die wir dabei zurück legen. Wir reisen dorthin, wo unser Körper nicht hingehen kann. Wir reisen, sofern wir uns auf den Engel einlassen wollen, durch die Zeit. Dabei gleiten wir ein halbes Jahrtausend zurück, ins das Florenz des Hochmittelalters.“

In Valentins Stimme lag ein leichtes Vibrieren, das mein Gehör zu erhöhter Aufmerksamkeit reizte und zugleich den Klang der Worte angenehm abrundete. Fast atemlos lauschte ich auf dessen weitere Ausführungen. In meiner Traumwelt hatte der Engel nicht die Gestalt einer Frau. Vor mir breitete vielmehr Valentin seine Schwingen aus und an seiner Hand flog ich einem unbekannten Ziel entgegen.

„Leonardo da Vinci malte die Mona Lisa zu einer Zeit, in der große Männer große Taten vollbrachten, schöne Frauen die Phantasie begabter Künstler anregten und gemischt mit deren tiefen Glauben und geistiger Spiritualität zu Werken von zeitloser Schönheit inspirierten.“

Ich erinnerte mich jetzt wieder an das Gelernte aus dem Kunsterziehungsunterricht. Es kostete mich etwas Mühe meine trockene Zunge vom Gaumen zu lösen und dabei meinen Blick, der ganz woanders weilte, wieder für die Wirklichkeit zu schärfen. „Die wahre Identität der Mona Lisa ist umstritten.“ warf ich vorsichtig ein.

„Das ist richtig.“ gab Valentin mit sehr sonorem Tonfall zu. „Verschiedene Damen aus dem Umfeld da Vincis in Florenz werden damit in Verbindung gebracht. Es gibt auch Vermutungen, es könnte den Künstler selbst darstellen, oder gar dessen homosexuellen Partner. Da Vincis Zuneigung zum eigenen Geschlecht ist kein Geheimnis.“ Valentin verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Was für eine Epoche in der Geschichte der Menschheit war das gewesen. Viele Namen jener alten Tage hallen noch heute mit mächtigem Klang durch die Hallen der Geschichte.“ Valentin machte eine Pause, ließ das Timbre seiner eigenen Stimme für einen kunstvollen Moment verstummen. „Dabei war ihr Antrieb damals oft kein anderer als er es heute ist.“

„Was,“ fragte ich neugierig, „war dieser Antrieb?“

Valentin lächelte und hob wissend seinen rechten Zeigefinger und deutete geheimnisvoll auf die Nachbildung der Mona Lisa. „Die Frauen.“

„Die Frauen?“ Ich sah in spöttisch an. „Valentin, ich glaube sie messen uns zu viel Bedeutung zu.“

Valentin wich einer direkten Erwiderung aus. „Ein Brennpunkt von Kultur, Geist, Macht und Geld war damals Florenz. Die Namen vieler Männer wurde dort gerufen. Vespucci, de Medici und auch da Vinci. Wir kennen sie heute wegen ihrer Entdeckungen, ihrem Reichtum oder ihrem Können. Was sie aber alle einte, das waren die Frauen.“

„Die Frauen oder die Mona Lisa?“ fasste ich nach.

„Sie sind scharfsinnig.“ lobte Valentin. „Die Frauen, nicht die Mona Lisa. Letztere setzte nur einen Schlusspunkt unter eines der besonderen Kapitel in diesem Zusammenhang. Für Frauen … “ Es kam mir so vor, als würde Valentins Stimme noch tiefer und dunkler. Sie klang nun wie das ferne Grollen eines heraufziehenden Gewitters. „Für Frauen die sie begehrten ließen sich selbst die nüchternsten und trockensten Machtmenschen zu Dummheiten verleiten.“

Ich sah in Valentins Augen. Eine seltsame Spannung lag plötzlich zwischen uns. Ich hatte das Gefühl, dass er in diesem Augenblick meine Augen in die seinen eintauchen lassen wollte. Für kostbare Sekunden öffnete er seine sonst so beherrschte Hülle und gewährte mir einen Blick in die Tiefe seiner Seele. Sorgsam hatte er diesen Moment der Offenheit präpariert. Ton und Wortwahl waren so fein abgestimmt, dass mir keine Wahl blieb. Ich musste geradezu das sehen, was er mir zu zeigen wünschte. Das was ich dort sah, war finster und faszinierend zugleich. In der Dunkelheit seiner Pupillen las ich Maßlosigkeit, das Sprengen moralischer Fesseln, womöglich sogar Wahnsinn. Und ich sah auch ein zerstörerisches Ende.

Die knöchernen Klauen einer schwarzen Furcht legten sich um mein Herz. Ich spürte, wie ich zu frieren begann. Meine Beine zitterten und am liebsten wäre ich davon gelaufen. In diesem Moment des größten Schreckens erlosch der unheimliche Glanz in Valentins Augen wieder. So, wie ich gerade in unergründliche emotionale Tiefen gerauscht war, drückte mich jetzt ein warmer Luftstrom zurück ans Licht.

„Sie hatten alles.“ sprach Valentin weiter, als hätte es dieses finstere Aufflackern in seinen Augen nie gegeben. „Und doch hatten sie nichts. Für ihr Geld, ihren Status und manchmal auch ihren Ruhm konnten sie Frauen kaufen, jedoch keine Leidenschaft. Um das zu bekommen, was sie wahrhaftig begehrten, wonach ihr Herz gierte … dazu mussten sie ganz andere Risiken eingehen.“

Mir war klar, dass er nicht nur über längst vergangene Zeiten, sondern auch sich selbst sprach. Soviel hatte ich über Valentin erlernt. Dem Zufall überließ er selten etwas. Er kalkulierte und manipulierte. Ein dummer Zufall vielleicht hatte mich in das Zentrum seines Interesses gerückt. Der Gedanke womöglich eine Obsession Valentins geworden zu sein ließ mir einen kalten Schauer den Rücken herunter laufen. Dieses Mann war geschickt, intelligent und sehr erfahren. Er hatte mir viel voraus und ich war eindeutig die Schwächere in diesem undurchsichtigen Spiel. Ich musste vorsichtig sein, wenn ich am Ende nicht einen hohen Preis zahlen wollte.

Valentins Absichten, das wurde mir schmerzlich bewusst, waren mir nicht bekannt. Nur mit mir schlafen wollte er jedenfalls nicht. Das hatte er ja bereits. Zudem war er für eine solche Banalität ein viel zu komplex gestalteter Mensch. Er musste etwas ganz anderes im Sinn haben. Ein Schlüssel zu diesem Geheimnis mochte die Mona Lisa sein. „Aber wer nun,“ fragte ich neugierig, „ist ihrer Meinung nach die Mona Lisa? Oder glauben sie, Leonardo da Vinci malte sie nur als Sinnbild für das Risiko, für das womöglich Unerreichbare?“ Den letzten Halbsatz betonte ich bewusst. Ich nahm Valentins Spielweise an und stellte ihm so eine behutsam vorgetragene Warnung in den Raum. Er sollte sich meiner nicht zu sicher sein.

„Ich weiß es nicht.“ gestand Valentin und ließ seine Gedanken sichtlich schweifen.

Ich konnte nicht erkennen, ob er über mich oder die Mona Lisa nachdachte. „Aber einen Verdacht haben sie schon.“ ermunterte ich ihn, den Faden wieder aufzunehmen.

„Oh ja. Den habe ich.“ bestätigte er. Er sah mich jetzt wieder an und diesmal schien es ihn zu amüsieren, mich zappeln zu lassen.

Ich zog einen Schmollmund.

Valentin lachte leise. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „Im Jahre 1478 sank auf den Stufen des Florentiner-Doms ein Mann namens Guliano de Medici, durch das Messer eines Attentäters tödlich verwundet, zu Boden. Es war eine frevelhafte Tat und sie wurde ausgeführt auf heiligem Boden. Was trieb die Täter an? Konnten sie doch der Verdammnis gewiss sein. Guliano war der jüngere Bruder des mächtigen Lorenzo de Medici, welcher die Macht in Florenz in seinen Händen hielt. Entschlossene Verschwörer trachteten danach die Macht der Medicis zu brechen und ein Vorwand dafür war ein Skandal, der drei Jahre zurück lag.“

Valentin legte seine Hand auf meine Schulter und deutete auf die Mona Lisa. „Damals führte entgegen alles damals geltenden Konventionen Guliano de Medici eine verheiratete Dame namens Simonetta Vespucci zu einem öffentlichen Ball aus. Simonetta, so wird berichtet, war die schönste Frau ihrer Zeit. Gelangweilt von ihrem Gatten verführte sie den mächtigen zweiten Mann der Medicis. Dieser, geblendet von Simonettas Schönheit und hungrig nach deren Jugend, gab sich jedem Exzess mit ihr hin.“

Andächtig verschränkte Valentin nun seine Hände hinter seinem Rücken. „Die Ehre der Vespuccis war verletzt. Schlimmer noch. Gulianos Bruder Lorenzo war ein großer Förderer des Cousins von Simonettas Gatten. Diese Cousin hörte auf den Namen Americo Verspucci und er galt schon in jungen Jahren als einer der besonders talentierten Navigatoren. Lorenzo setzte große Hoffnungen in ihn, dachte bereits daran ihn zur Wahrung der Interessen der Medicis an fremde Höfe zu senden.“

Valentin legte ein kurze Pause ein. „All das war in Gefahr durch das zügellose Treiben von Simonetta und Guliano. Bald nach diesem Skandal starb Simonetta an einer Krankheit. Auf den Tag genau zwei Jahre nach ihrem Ende schlug dann auch die Stunde Gulianos. Die Attentäter wurden auf der Stelle gerichtet und man beglich wohl gleich noch ein paar kleinere Rechnungen im Zuge dieses Gemetzel. Das Leben konnte wieder weiter gehen. Die Medicis dominierten noch viele Jahre Florenz. Der Name Vespucci ist heute untrennbar mit der Entdeckung Amerikas verbunden.“

„Nur von Simonetta spricht niemand mehr.“ stellte ich ergriffen fest.

„Nicht ganz.“ korrigierte mich Valentin. „Jahre nach ihrem Tod erfuhr Leonardo da Vinci vom Schicksal dieser Frau. Fasziniert und besessen von dem Gedanken ihre Schönheit noch einmal zum Leben zu erwecken malte er die Mona Lisa. Er konnte sich nie von ihr trennen und er hing an ihr bis zu seinem eigenen Tod. Da Vinci machte Simonetta unsterblich. Sie ist es, die heute im Louvre ihre Bewunderer anlächelt.“

Ich schwieg eine Zeit lang und dachte über die anregende, aber doch sehr abenteuerliche Theorie nach. „Das scheint mir sehr weit her geholt.“ machte ich dann meinem Zweifel Luft.

Valentin nahm das nicht krumm. „Ihre Zweifel kann ich nicht verübeln. Doch sie können meine Interpretation auch nicht widerlegen. Um nochmal zum Anfang unseres Gesprächs zurück zu kehren. Nicht das Gemälde an sich macht den Reiz aus. Es ist die Geschichte dahinter, die mit den Farben auf der Leinwand bis ans Ende aller Tage konserviert ist.“

Ich sah etwas betreten zu Boden. Dann, meinen Kopf leicht schräg gelegt, sah ich Valentin direkt an. „Sie verstehen es auf eine sehr angenehme Weise zu unterhalten. Doch warum haben sie mich wirklich heute hierher bestellt?“

Valentins Körper strafte sich. Er lächelte mich mit einem sehr verbindlichen Gesichtsausdruck an. Mein Vorstoß kam offensichtlich überraschend für ihn und zum ersten mal heute musste er sichtlich nach den rechten Worten suchen. Valentin sah noch einmal auf die Mona Lisa, bevor er mich wieder ansah. „Ich möchte von ihnen ein Bild haben. Genauer gesagt stelle ich mir ein Aktbild vor, das die unverwechselbaren Merkmale unserer Beziehung thematisiert. Der verführerische Zauber nackter Haut soll mit der kühlen Erotik von dominanter Gewalt eine Einheit eingehen. Wenn sie so wollen können sie es einen Gewaltakt nennen. Die Einladung hierher diente zur Einstimmung auf diesen meinen Wunsch.“

Leichter Schwindel erfasste mich, als meine Gedanken unwillkürlich jene Nacht vor einer Woche wieder wach riefen, in der Valentin mir den Fotoband von Paul Szynalski zeigte. Das Blut rauschte in meinen Ohren wie das Wasser eines vom Sturm gepeitschten Ozeans, das sich wieder und wieder mit zornigem Getöse gegen eine felsige Küste warf. Die Wirklichkeit vor mir verschwamm zu Bildfragmenten, die meinen nackten Körper, geschunden von Schlägen, gehalten von Ketten und gebrochen von Lust zeigten. Der Malstrom, dessen geheime Energiequelle Valentin war, hatte mich erfasst. Noch kämpfte ich dagegen an. Aber längst spürte ich, wie entfesselte Kräfte mich immer schneller in dessen Mitte rissen…

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